"Ich habe ein Recht darauf, meine Grenzen zu wahren"

Porträt von Elternberaterin Elena Schwarzer. Sie lächelt, neben ihr ist ein auf die Wand gemalter Regenbogen zu sehen.
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Elena Schwarzer

Als ich neulich bei Twitter laut darüber nachdachte, einen Workshop zum Thema “Nein sagen und die eigenen Grenzen wahren” zu konzipieren, antwortete die Elternberaterin und dreifache Mutter Elena von wickelakrack.de ganz spontan: “Ich kann das übertrieben gut.” Das machte mich neugierig und ich hab sie gefragt, ob wir der Sache in einem Interview mal gemeinsam auf den Grund gehen wollen. Zu meinem (und eurem) Glück hat sie Ja gesagt - und ‘nen Workshop gibt es trotzdem noch, mehr dazu hier.

Elena, konntest du schon immer gut deine Grenzen wahren?

Hm, ich glaube, nicht schon immer. Aber ich bin mit 20 das erste Mal Mutter geworden. Ich war während des Abis bereits schwanger. Ich hatte also nicht den Bruch zwischen “selbstbestimmter Single mit vielen Partys” und “Selbstaufgabe fürs Kind”. Vielleicht war es deshalb von Anfang an wichtig für mich, auch noch ich selbst zu sein.

Wie hat sich das geäußert?

Als mein Sohn fast 3 Jahre alt war, habe ich zum Beispiel fünf Wochen Urlaub in Australien gemacht - allein. Ich wusste, mein Kind ist bei seinem Vater gut aufgehoben. Da habe ich viel Unverständnis geerntet. Aber wie andere darüber urteilen, was ich mache, ist mir egal. Mir macht Druck von außen kein schlechtes Gewissen.
Vom Vater meines ersten Kindes bin ich getrennt und habe noch zwei Kinder mit meinem jetzigen Mann bekommen. Seither habe ich auch schon allein einen Motorradurlaub gemacht und dieses Jahr fährt mein Mann mit den Kindern in den Urlaub und ich habe ein paar Tage nur für mich. So etwas ist mir total wichtig.

Wie wahrst du deinen Kindern gegenüber deine Grenzen?

Ich formuliere früh sehr klar, wenn mich etwas stört. “Mir ist das hier zu laut. Ich möchte, dass ihr leiser seid oder raus in den Garten geht”, zum Beispiel. Ich glaube, viele Eltern lassen ihre Grenzen ganz oft überschreiten, bis sie irgendwann scheinbar wegen einer Kleinigkeit explodieren.
Nicola Schmidt (Autorin u.a. von “Artgerecht”, Anm.) hat in einem Vortrag mal gesagt, dass man sich eine Ampel vorstellen soll: Wenn die Ampel von Grün auf Gelb springt, wir also in Stress und Anspannung geraten, dann sollten wir sofort für uns sorgen - eine Pause machen, uns etwas Gutes tun. Denn wenn die Ampel erst mal auf Rot steht, können wir unsere Kinder nicht mehr liebevoll begleiten.

Hast du einen Tipp, was man tun kann, wenn die Ampel doch mal auf Rot springt?

Es klingt banal, ich weiß, aber Atmen. Ich mache dabei die Augen zu und beame mich richtig weg. In meinem Kopf bin ich dann am Meer, atme tief ein und aus. Das hilft tatsächlich. Aber man muss es vielleicht ein bisschen üben, damit das auch in Stresssituationen klappt. Ich kann das empfehlen!

Du bist also immer super gelassen und liebevoll?

Nein, natürlich nicht! Ich brülle meine Kinder auch mal an, wenn es mir zu viel wird. Ich finde das übrigens gar nicht schlimm. Wo viel Bindung stattfindet, verkraften es die Kinder auch, wenn mal geschrien wird.

Was brauchen Eltern denn, um so klar zu sein?

Ich glaube, die eigene Haltung ist das Wichtigste: Ich habe ein Recht darauf, meine Grenzen zu wahren. Und ich darf darauf bestehen, dass sie nicht übertreten werden.
Dafür muss ich natürlich wissen, was mir wirklich wichtig ist. Wenn ich immer zu allem Nein sage, ist die Kooperationsfähigkeit gerade kleinerer Kinder irgendwann mal aufgebraucht. Deshalb ist es hilfreich, für sich klar zu wissen: Was ist mir wirklich wichtig - da ziehe ich eine harte Grenze - und wo kann ich meine Grenze weicher gestalten?

Aber ein dreijähriges Kind interessiert sich doch gar nicht dafür, wo meine Grenze ist. Was mache ich dann?

Na ja, ich sage ja nicht einfach Nein, sondern biete altersgerechte Alternativen an. Meistens gibt es irgendeine Lösung, die unser beider Bedürfnis in diesem Moment erfüllt.
Aber es ist auch klar: Wenn ich meine Grenzen wahre, kann das bei den Kindern Frust und Wut auslösen. Das ist dann meine Verantwortung, das finde ich total wichtig! Sie dürfen sauer sein und ich begleite sie dabei.

Du hast in der Reply zu meinem Tweet geschrieben, dass es für die Kinder gut ist, wenn Eltern ihre Grenzen wahren. Inwiefern?

Ich sehe mich zum einen als Vorbild für meine Kinder. Sie lernen, dass man seine Grenzen wahren darf. Außerdem ist das natürlich auch keine Einbahnstraße: Ihre Grenzen sind mir ebenso wichtig wie meine.
Wir haben auch wegen unseres zweiten Kindes viele Veranstaltungen sausen lassen, weil wir gemerkt haben, das geht jetzt noch nicht, dass sie von jemand anderem betreut wird.
Und wenn mein Kind auf dem Spielplatz sein Spielzeug nicht teilen will, dann sage ich zu dem anderen Kind: “Tut mir leid, er möchte das gerade nicht abgeben.”
Anderes Beispiel: Meine achtjährige Tochter ist sehr schüchtern. Ich spreche oft für sie, damit sie mit ihrem Schweigen nicht in etwas einwilligt, was sie gar nicht möchte.

Viele Eltern haben Angst, dass sie lieblos wirken, wenn sie klare Ansagen machen. Wie stehst du dazu?

Ich habe auch schon mal gehört, ich sei so streng. Ich empfinde das aber ganz anders: Auch wenn ich klar bin und meine Grenzen wahre, achte ich immer darauf, auf Augenhöhe mit meinen Kindern zu sprechen und mit ihnen in Verbindung zu bleiben.
Ich gehe noch weiter und sage: Dank der Klarheit ist sogar mehr Verbindung möglich, weil meine Kinder wissen, woran sie bei mir sind, und ich gelassener und liebevoller sein kann, wenn ich auch gut für mich sorge.

Vielen Dank für das Gespräch, liebe Elena!